2555 Nächte, 350.000 Gäste, über 10.000 Musiker und ein Wirt. Holger Jass erzählt von seinem Onkel Pö, das er genau sieben Jahre, vom 1.1.1979 bis zum
31.12.1985 führte.
Im Pö gaben sich lokale Größen, spätere Weltstars und echte Legenden ihrer Zeit auf derselben kleinen Bühne die Ehre. Oft platzten zu später Stunde noch
Musiker herein und spielten spontane Sessions bis in die frühen Morgenstunden vor glücklichen Fans, die es gar nicht fassen konnten, dass z. B.
plötzlich Joe Cocker auf der Bühne stand und wegen Stromausfalls seine kleine Privatvorstellung bei Kerzenlicht gab.
Holger Jass war immer ganz nah am Geschehen, ganz gleich, ob er Schmalzbrote für zukünftige irische Superstars schmierte, einer Jazz-Legende in die Hose
half, gegen Nazis oder mit Bierfässern kämpfte und auch sonst auf vielerlei Weise dafür sorgte, dass die Legende rockte.
Die 29 Kapitel mit 71 zum größten Teil unveröffentlichten Bildern auf 144 Seiten sind amüsanter Lesestoff für alle, die dabei waren und jene, die es
verpasst haben, weil sie nicht reinkamen, nicht so lange aufbleiben durften oder noch gar nicht geboren waren. Das Buch erscheint im Offline-Verlag zum Preis von 25,55 €, was einem Cent pro Nacht im legendären Club entspricht.
In Deutschland ist Gary Burton in einem Club aufgetreten, den viele US-Musiker seiner Generation sehr schätzten - "Onkel Pös Carnegie Hall" in Hamburg.
Zwischen Oktober 1970 und Ende 1985 gastierten dort unter anderen Chet Baker, Dexter Gordon, Charlie Haden, Freddie Hubbard, Pat Metheny, Esther Phillips, John Scofield und Archie Shepp. Der
Jazz-Fan Peter Marxen hatte das Ecklokal im Stadteil Eppendorf eröffnet; gute Verbindungen zum NDR-Jazz-Chef Michael Naura und zu einigen Label-Managern halfen ihm, internationale Stars zu
engagieren.
Als Marxen zum 1. Januar 1979 Onkel Pö an den im Nebenhaus wohnenden Stammgast Holger Jass verkaufte, setzte der diese Tradition fort, wenngleich der Rock- und
Fusion-Anteil der Musik größer wurde.
Jass hat nun seine Jahre als Club-Betreiber beschrieben. Es wurde eine quirrlige Sammlung von Begegnungen und Anekdoten, in denen es um Jazz nur unter anderem
geht. Onkel Pö war nämlich auch die Wohnstube für Udo Lindenberg ("Bei Onkel Pö spielt ne'Rentnerband seit 20 Jahren Dixieland") und von Otto Waalkes; Herbert Grönemeyer versuchte sich dort als
Vokalist ("Noch n' Schauspieler, der singt"); Tom Waits und Neil London sind in der ehemaligen Eckkneipe aufgetreten.
"Pö-Jahre sind wie Hundejahre, die zählen siebenfach", erinnert sich Jass (66) an die Worte seines Vorgängers Marxen. Beide Betreiber des legendären Musikclubs
haben nur je ein Dutzend Jahre durchgehalten. Dann zogen sie sich - geschlaucht von Alkohol und einemselbstausbeuterischen Arbeitspensum - zurück aus dem
Geschäft; und das Onkel Pö verschwand. Der Jazz frisst seine Macher.
Einen ersten Hinweis auf den Inhalt dieses Buchs gibt bereits der Preis: 25,55 Euro, entsprechend einem Cent pro Nacht im legendären Club, wie Holger Jass in der
Presseankündigung zum Buch erklärt. Holger Jass hatte das Onkel Pö (Onkel Pö’s Carnegie Hall, wie es damals offiziell hieß) Anfang 1979 vom Vorbesitzer Peter Marxen übernommen, der ihn bei der
Übergabe warnte: „Ich muss dich warnen. Pö-Jahre sind wie Hundejahre. Die zählen siebenfach.“ Jass hielt es bis Anfang 1986 aus, führte das „Pö“ im Sinne seines Kultstatus‘ weiter und hat jetzt
ein kurzweilig-amüsantes Buch über seine Erlebnisse mit Musikern, Medienmenschen, Kollegen und dem Publikum geschrieben, das ihm die ganzen Jahre über treu blieb, aus dessen Reihen sich aber
partout kein Interessent für eine Nachfolge finden ließ.
„Jetzt macht Jass den Jazz im Onkel Pö“ titelte das Hamburger Abendblatt, als Jass 1979 übernahm. Sein Buch handelt natürlich auch von Jazz. Er beschreibt, wie
Michael Naura, damals Jazzredakteur des NDR viele der Jazzabende mitschnitt, die sich das Pö ansonsten kaum hätte leisten können. Den Flügel im Club hatte kein geringerer als Joachim Kühn
ausgesucht und eingeweiht. Ansonsten bevölkern Jazzer wie Freddie Hubbard, Elvin Jones, Pat Metheny, Dexter Gordon die Seiten, aber auch Tom Waits, Charlie Watts, Joe Cocker, Hannes Wader, Truck
Stop und natürlich Udo Lindenberg, der dem „Pö“ in einem seiner Hits ein Denkmal setzte.
„Bei Onkel Pö spielt ’ne Rentnerband“, hieß es da, „seit 20 Jahren Dixieland“ – aber mit Dixieland ließ sich so ein Schuppen nicht finanzieren, bilanziert Jass
trocken … obwohl man das Wort „trocken“ selbst bei einer Rezension dieses Buchs nicht in den Mund nehmen sollte, denn trocken ging es ganz sicher nicht zu im Pö. Auch davon handelt das Buch, von
den skurrilen Erlebnissen mit den Musikern, vom gesteigerten Alkoholkonsum, vom Pflegen einer Szene und davon, dass man, um Wirt zu sein, ein dickes Fell und viel Humor benötigt. Pineau ist das
Zauberwort, jene süßliche Mischung aus Traubenmost und Cognac, die Jass als Allheilmittel vieler Probleme genauso beschreibt wie als Ursache anderer. Seine Anekdoten machen klar, dass man als
Wirt und täglicher Konzertveranstalter selbst nicht ganz ohne solche „Medizin“ auskommt: ein divenhafter Auftritt Freddie Hubbards etwa oder jener Abend mit Dexter Gordon, den Jass allerdings
erst aus drogenbedingtem Tiefschlaf im Hotel um die Ecke wecken musste, den er für seine 57 Jahre als „bös klöterich“ beschreibt, der dann aber nach einem dreifachen Whiskey ein denkwürdiges
Konzert gegeben habe.
Sehr viel tiefer geht es sicher nicht in seinen Erinnerungen, die er mit viel Augenzwinkern und der humorvollen Abgeklärtheit der zeitlichen Distanz schreibt, und
bei denen man schon mal über die eine oder andere schlüpfrige Anekdote hinweglesen muss. Bei all denen, die dabei waren in diesem zwischen Alternativszene und Hochkultur angesiedelten Zauberort
in Eppendorf, wird er warme Erinnerungen wecken. Man meint den Fusel wieder zu schmecken und die dicke Luft wieder zu riechen, vor allem aber erinnert man sich an die musikalischen Hochgenüsse,
die das Onkel Pö so oft und so viel vermittelte. Für diejenigen, die nicht dabei waren, gibt Jass ein launiges Portrait, einschließlich etlicher Fotos, ein Portrait, das stellenweise einer
Filmdokumentation über verwunschene Zeiten ähnelt, bei denen man eigentlich gern dabei gewesen wäre.
In Hamburgs Kultclub Onkel Pö gaben U2 ihr erstes Konzert und Joe Cocker
sang bei Kerzenlicht. Jetzt erschien ein Buch über dieses Stück Musikgeschichte
Bono stellte sich Anfang der 1980er zunächst noch als Paul vor. Er und seine wenig verwöhnten Bandmitglieder gaben sich mit ein paar „köstlichen“
Griebenschmalzbroten zufrieden, bevor sie die kleine Bühne von Onkel Pös Carnegie Hall bestiegen und ihr allererstes U2-Konzert in Deutschland gaben. Oben seht ihr eines der wenigen Bilder, die
bei dem Gig aufgenommen wurden.
Das war vor 35 Jahren am 15. Februar 1981. Holger Jass hat diese und viele andere Anekdoten aufgeschrieben, mit Archivbildern versehen und in einem Buch
veröffentlicht. Jass war von Januar 1979 bis zur Schließung im Januar 1986 Besitzer des Onkel Pös. Das Buch „Mein Onkel Pö“ setzt dem legendären Club in Eppendorf ein liebevolles und sehr
persönliches Denkmal.
Er erzählt darin von der besten Barfrau Hamburgs, Harriet Maué, von einem Spontanauftritt von Joe Cocker bei Stromausfall und Kerzenlicht, wie die
Talking Heads mit einem Zwanzigtonner voll Equipment anrückten und lange überredet werden mussten mit weit weniger Zeugs auf der winzigen Bühne aufzutreten, von Punkern, Poppern, der Neuen
Deutschen Welle.
Wer die Zeit noch kennt, wird sich vielleicht an manches erinnern, alle anderen können sich über das wilde Leben ihrer Eltern im heruntergekommenen Eppendorf
wundern. Das Buch hätte vielleicht etwas professioneller gestaltet werden können, als zeitgeschichtliches Dokument Hamburger Kneipen- und Musikgeschichte ist es
unverzichtbar.
"Bei Onkel Pö spielt'ne Rentnerband, seit zwanzig Jahren Dixieland", reimte Udo Lindenberg in seinem Song "Alles klar auf der Andrea Doria". 1973 war das. Und
damals war der Club an der Ecke Eppendorfer Straße und Lehmweg auch tatsächlich noch vor allem ein Jazzclub. 1979 übernahm Holger Jass das Pö, buchte auch Rock und Punkbands. Sieben Jahre lang
führte Jass Onkel Pös Carnegie Hall, wie das Lokal offiziell hieß. Und einiges von dem, was er in diesen 2445 Nächten erlebte, hat Jass jetzt zu seinem Buch "Mein Onkel Pö" verarbeitet, das jetzt
im Offline-Verlag erschienen ist.
Offline-Verlag? Den hat Jass extra für dieses Projekt gegründet, "Ich wollte mich nicht mit irgendeinem Verlag wegen irgendwelcher Rechte herumschlagen. Und ich
wollte, dass das Buch rechtzeitig zum 30. Jahrestag der Schließung auf den Markt kommt." Das hat er geschafft.
"Sieben Jahre Pö waren genug. Ich habe damals eigentlich nach einem Nachfolger gesucht, aber niemand wollte den Job übernehmen, also habe ich das Lokal an eine
Getränkefirma verkauft, die daraus ein Restaurant gemacht hat", erzählt Jass. Das Ende einer Institution, die unzähligen Bands, darunter auch einigen, die später Superstars werden sollten, eine
Bühne bot - und manchen eben nicht - wie R.E.M. "Die wollten bei uns spielen, aber wir hatten keinen Termin mehr frei." Oder "The Police": "Die hatten wir fürs Pö gebucht, aber dann liefen die
plötzlich ständig im Radio, und da haben wir das Konzert in die Markthalle verlegt. Da kamen dann über 2000 Leute." Im Pö hatten bestenfalls 350 Zuhörer Platz.
Dafür ging dort Ende 1979 eine Band auf die Bühne, die "The Tourists" hieß. An der Gitarre stand ein gewisser Dave Stewart, die Sängerin hieß Annie Lennox. Wenig
später schrieb das Duo als Eurythmics Pop-Geschichte. Oder der 15. Februar 1981. Da reiste eine Band aus Irland an, um im Pö ihr erstes Deutschland-Konzert zu geben. Der seltsame Name der Band: U
2.
Aber im Pö gingen auch bereits arrivierte Stars auf die Bühne - unangekündigt und inkognito, wie etwa Joe Cocker 1979. "Die Band spielte gerade ihre letzte
Zugabe, als das Telefon klingelte. ,Hallo Onkel Pö. Wir sind gerade mit Joe Cocker unterwegs, und er will jetzt unbedingt auftreten. Habt Ihr noch'ne Band da?' Ich fühlte mich verarscht. Ich
hatte Onkel Pö vor ein paar Wochen übernommen und man wollte den Anfänger wohl auf den Arm nehmen", schreibt Jass. Doch Vorbesitzer Peter Marxen hatte Jass erzählt, dass während eines
Tony-Sheridan-Konzerts ein Anrufer einmal behauptet hatte, er sei Paul McCartney und er wolle Sheridan sprechen. Marxen legte damals mit dem Kommentar "und ich bin der Kaiser von China" auf.
Später stellte sich heraus: Der Anrufer war McCartney.
Sicherheitshalber bat Jass die Band dazubleiben. Und wenig später kam Cocker, der allerdings ohne Band auf die Bühne musste. Kurz vor seinem Auftritt brach
die Stromversorgung zusammen, Cocker sang dennoch: zum Klavier.
Und wenig später bekam der Club dann auch einen richtigen Flügel, den kein Geringerer aussuchte als Joachim Kühn. Im Gegenzug durfte der Jazz-Star, der in der
Nachbarschaft wohnte, darauf proben. Die Memoiren von Jass sind eine wahre Fundgrube der Pop- und Jazz-Geschichte.